Stimmungsbarometer zu Geflüchteten: Ungeachtet geäußerter Sorgen ist ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft bereit, Geflüchtete zu unterstützen – 30 Prozent spendeten 2016 für Geflüchtete, zehn Prozent halfen vor Ort – Sorge über Zuwanderung nimmt zu
Nach wie vor ist ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland bereit, sich für Geflüchtete zu engagieren – obwohl die Zahl der Hilfsbereiten im vergangenen Jahr leicht gesunken ist und immer mehr mit Blick auf die Zuwanderung Sorgen äußern. Das geht aus dem neuesten Stimmungsbarometer für Geflüchtete und den aktuellsten verfügbaren Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor. Demnach hat sich im Durchschnitt des vergangenen Jahres rund ein Drittel der Menschen in Deutschland in Form von Geld- und Sachspenden engagiert. Zehn Prozent halfen vor Ort, etwa indem sie Geflüchtete bei Behördengängen oder beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützten. Im Jahresverlauf ist die Hilfsbereitschaft jedoch leicht gesunken: Immer weniger der befragten Personen äußerten die Absicht, sich künftig engagieren zu wollen. Gaben im Februar und März 2016 noch rund 40 Prozent der Befragten an, in Zukunft spenden zu wollen, waren es am Jahresende 2016 noch 32 Prozent. Die Bereitschaft, sich künftig vor Ort zu engagieren, sank im selben Zeitraum von rund 20 auf elf Prozent. „Möglicherweise geht dieser Rückgang auf die Wahrnehmung zurück, dass Hilfe angesichts der vor allem im Vergleich zum Jahr 2015 stark gesunkenen Zuwanderungszahlen derzeit weniger dringend ist“, sagt SOEP-Direktor Jürgen Schupp.
Knapp die Hälfte der Befragten äußerte „große Sorgen“ mit Blick auf Zuwanderung – ein mehr als doppelt so hoher Anteil als noch drei Jahre zuvor. Für Ostdeutschland wurde sogar ein Allzeithoch von 56 Prozent gemessen. „Die hohe Besorgtheit in den neuen Bundesländern überrascht insofern, als dass sie in deutlichem Widerspruch zum tatsächlichen Anteil von Migrantinnen und Migranten in Ostdeutschland steht“, sagt Jannes Jacobsen, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim SOEP, der die im DIW Wochenbericht erschienene Studie gemeinsam mit seinem Kollegen Philipp Eisnecker und Jürgen Schupp verfasst hat.
Wer sich skeptisch äußert, engagiert sich mitunter trotzdem für Geflüchtete
Im Rahmen des Stimmungsbarometers wurden die Befragten zudem gebeten, die Folgen der Fluchtzuwanderung auf einer Skala von 1 (extrem negativ) bis 11 (extrem positiv) zu beurteilen. Besonders ins Auge fallen die skeptischen Einschätzungen der kurzfristigen Effekte, während viele Befragte langfristig weniger Probleme erwarten. Am optimistischsten schätzten die befragten Personen die Effekte auf die Wirtschaft ein, am pessimistischsten den Einfluss auf die Lebensqualität in Deutschland. Insgesamt prägten die Skeptikerinnen und Skeptiker das Stimmungsbild: Zwischen 40 und 57 Prozent beurteilten die Folgen der Zuwanderung Geflüchteter insgesamt negativ.
Allerdings: Wer negative Auswirkungen durch Fluchtmigration erwartet, engagiert sich mitunter dennoch für Geflüchtete. Selbst unter den Personen, die ausschließlich skeptische Antworten gaben, engagierten sich 2016 mehr als drei Prozent vor Ort. Von denjenigen, die sich weder klar positiv noch klar negativ äußerten, waren es sogar zehn Prozent. „Sicherlich gibt es den Zusammenhang, dass eine positive Einstellung zu Geflüchteten stark mit dem Engagement zusammenhängt“, erklärt Eisnecker. „Gleichzeitig gibt es aber keinen großen Graben, der engagierte und nicht engagierte Personen klar in ihrer Einstellung spaltet.“
Politik sollte ehrenamtliches Engagement nicht nutzen, um staatliche Aufgaben zu ersetzen
Nicht zuletzt angesichts des bevorstehenden Bundestagswahlkampfs rät SOEP-Direktor Jürgen Schupp dazu, die gestiegenen Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen. „Ungeachtet der geäußerten Skepsis ist ein nicht unerheblicher Teil der Gesellschaft bereit, Geflüchtete zu unterstützen“, so Schupp. Es liege in der Verantwortung der Politik, dieses Potential zu erschließen und ehrenamtliches Engagement zu unterstützen, ohne dadurch langfristige staatliche Aufgaben zu ersetzen. „Benötigt wird ein tragfähiges und überzeugendes Gesamtkonzept, damit sowohl Geflüchtete ihren Platz in der deutschen Gesellschaft finden als auch Institutionen und öffentliche Strukturen auf künftige Fluchtmigration adäquat vorbereitet sind“, so Schupp.