Der Kiosk an der Ecke oder das China-Restaurant, in dem die ganze Familie in der Küche aushilft – wenn es um Unternehmer mit Migrationshintergrund geht, sind Klischees schnell zur Hand. Doch eine neue Studie über Migrantenunternehmen zeigt: Unternehmer mit ausländischen Wurzeln leisten auch außerhalb von Niedriglohnsektor und arbeitsintensiven Tätigkeiten einen wesentlichen Beschäftigungsbeitrag. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern.
Gütersloh, 11. August 2016. Menschen mit Migrationshintergrund beleben Deutschlands Wirtschaft nicht nur durch eigene Unternehmensgründungen, sondern auch, indem sie als Arbeitgeber Jobs schaffen. Zwischen 2005 und 2014 hat sich die Anzahl von Arbeitsplätzen, die durch selbstständige Unternehmer mit ausländischen Wurzeln geschaffen wurden, von 947.000 auf 1,3 Millionen erhöht (Anstieg: 36 Prozent). Gleichzeitig ist auch die Anzahl selbstständiger Unternehmer mit Migrationshintergrund von 567.000 (2005) auf 709.000 (2014) um ein Viertel gestiegen. Das zeigt eine neue Studie der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
Der gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsbeitrag – dazu zählen die geschaffenen Arbeitsplätze sowie Arbeitgeber und Alleinunternehmer mit Migrationsgeschichte – ist noch höher: Rund 2 Millionen Personen (1.993.000) waren 2014 dank der unternehmerischen Tätigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund in Arbeit. Im Vergleich zu 2005 hat sich dieser gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsbeitrag um 33 Prozent erhöht (2005: 1.514.000). Das ist umso bemerkenswerter, da der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland in demselben Zeitraum nur um knapp 9 Prozent gewachsen ist (2005: 15.052.000, 2014: 16.386.000). „Unternehmer mit ausländischen Wurzeln sind ein Jobmotor für Deutschland. Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten nicht nur als Alleinunternehmer, sondern schaffen auch Arbeitsplätze und ermöglichen vielen Menschen so eine Chance zur Teilhabe am Arbeitsmarkt“, sagt Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung.
Selbstständigkeit ist Treiber für höheres Einkommen
Die Studienergebnisse belegen, dass Selbstständigkeit ein Treiber für höheres Einkommen und Wohlstand ist. Selbstständige Migrantenunternehmer verdienen im Durchschnitt mit 2.167 Euro netto Monatseinkommen 40 Prozent mehr als abhängig Beschäftige mit Migrationshintergrund (1.537 Euro). Als Unternehmer mit mehreren Beschäftigten verdienen die Migrantenunternehmer sogar fast doppelt so viel (2.994 Euro) wie abhängig Beschäftigte mit Zuwanderungsgeschichte. Im Vergleich zu Selbstständigen ohne Migrationshintergrund müssen sie dennoch Einbußen hinnehmen: Unternehmer mit Zuwanderungsgeschichte erzielen in Deutschland im Schnitt ein rund 30 Prozent niedrigeres Einkommen als Unternehmer ohne Migrationshintergrund.
Das Profil der Migrantenökonomie hat sich in den letzten Jahren verändert. Der Anteil selbstständiger Migrantenunternehmer im Handel und Gastgewerbe hat sich verringert, die Bedeutung anderer Branchen im Dienstleistungssektor und produzierenden Gewerbe hat sich erhöht. Fast die Hälfte der Selbstständigen mit Zuwanderungsgeschichte (48 Prozent) ist mittlerweile im Dienstleistungsbereich außerhalb von Handel und Gastronomie tätig. Handel und Gastgewerbe machen nur noch 28 Prozent aus, ein Rückgang um zehn Prozent im Vergleich zu 2005. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil des produzierenden Gewerbes: Jeder fünfte Selbstständige mit Migrationshintergrund ist in der Baubranche oder im verarbeitenden Gewerbe tätig.
Bildung und Jobs: große Unterschiede zwischen Ländern
Ein Blick auf die Deutschlandkarte zeigt, dass der Beschäftigungsbeitrag von Migrantenunternehmern unterschiedlich ausgeprägt ist: In Nordrhein-Westfalen ist die Anzahl der von Migrantenunternehmern geschaffenen Arbeitsplätze mit 300.000 Stellen insgesamt am größten (2005: 296.000). Doch in vergleichbaren Flächenländern ist die Anzahl der Stellen zwischen 2005 und 2014 stärker gewachsen: in Hessen um 81.000, in Bayern um 113.000 und in Baden-Württemberg sogar um 145.000 Arbeitsplätze. Baden-Württemberg erzielt damit den höchsten Wert im Ländervergleich. Die Länderzahlen lassen sich zum Teil durch die unterschiedliche wirtschaftliche Dynamik der Bundesländer und den Umfang der Zuwanderung erklären. Die Studie zeigt aber, dass vor allem das Bildungsniveau eine wichtige Rolle spielt: Je höher qualifiziert die Menschen mit Migrationshintergrund sind, desto höher ist im Land in der Regel die Selbstständigenquote. Das wirkt sich wiederum positiv auf die Anzahl geschaffener Arbeitsplätze und das Einkommen der Gruppe der Selbstständigen aus.
Einen Weg, das Potenzial von Migrantenunternehmern noch besser zu fördern, sehen die Studienautoren darüber hinaus im Ausbau passgenauer Angebote. In den meisten Bundesländern können Behörden und Kammern die Nachfrage nach spezifischen Beratungsangeboten für Migrantenunternehmer nicht bedienen. Ebenso kritisiert die Studie eine mangelnde Verzahnung zwischen Beratungsangeboten von Kammern, Kommunen und Privatwirtschaft. „Bildung wirkt, das zeigt sich gerade bei Unternehmern mit ausländischen Wurzeln. Staat und Wirtschaft müssen aber noch besser zusammenarbeiten, um Migrantenunternehmern den Sprung in eine erfolgreiche Selbstständigkeit zu ermöglichen“, so Aart De Geus.