Sehr geehrte Frau Kraft,
sehr geehrter Herr Jäger,
sehr geehrte Mitglieder der Landesregierung Nordrhein-Westfalens,
wir unterzeichnenden Einzelpersonen und Gruppen sind schockiert und empört über den Umgang der Landesregierung mit dem Integrationsgesetz und der darin verankerten Wohnsitzauflage. Wir fordern von Ihnen, den von Ihnen eingeschlagenen integrationsfeindlichen Kurs zu ändern!
Wir kritisieren insbesondere zwei Punkte: Zum einen die rückwirkende Umsetzung der Wohnsitzauflage und zum anderen Ihre Bestrebungen, auch innerhalb von NRW einen Wohnsitzzwang einzuführen. In NRW sind Zehntausende anerkannte Geflüchtete von der Rückwirkung der Wohnsitzauflage betroffen. Das Integrationsgesetz, welches am 06.08.2016 in Kraft getreten ist, gilt rückwirkend für diejenigen anerkannten Flüchtlinge, die seit dem 01.01.2016 und vor dem Inkrafttreten des Gesetzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus einem anderen Bundesland nach NRW verlegt haben. Diese Personen sollen nun zurück in die Bundesländer geschickt werden, in denen sie ihren Asylantrag gestellt haben.
Andere Bundesländer lehnen die rückwirkende Umsetzung der Wohnsitzauflage ab, da sie vermuten, „dass durch einen Rückumzug eine begonnene Integration unterbrochen würde“ (Bund-Länder-Besprechung vom 26.10.2016. Titel: Wohnsitzzuweisung hier: Bund-Länder-Verständigung zum Umgang mit Rückwirkungsfällen HLTRS 742/2016). Die anderen Bundesländer werten die Wohnungsnahme deshalb bereits als Grundlage für einen vorliegenden Härtefall und verhindern somit eine Vertreibung in andere Bundesländer.
Wir stimmen mit der Auffassung der anderen Bundesländer überein, dass eine rückwirkende Durchsetzung der Wohnsitzauflage integrationsfeindlich ist. Die Betroffenen zogen unter legalen Bedingungen nach Nordrhein-Westfalen. Das Land NRW erkennt jedoch lediglich als Härtefall an, wenn es sich bei den Betroffenen „um in einem Haushalt lebende Familien mit schulpflichtigen oder kleineren Kinder handelt oder wenn ein Integrationskurs bereits begonnen wurde“. (Erlass NRW Wohnsitzregelung vom 28.09.2016). Andere Gründe werden nicht akzeptiert. Viele von ihnen haben sich bereits für einen Integrationskurs angemeldet oder bemühen sich darum. Aber auch das reicht nicht für den Härtefallantrag.
Die Nichtanerkennung von Härtefällen bedeutet nun, dass Sie die Betroffenen rückwirkend „illegalisieren“ müssen. Sie haben sich in den letzten Monaten in NRW ein neues Leben aufgebaut: haben eine Wohnung gefunden, sich eingelebt, haben einen Platz für ihre Kinder in Schulen und Kindergärten gefunden, haben einen Sprachkurs begonnen, haben nach Jahren der Trennung ihre Familien zusammengeführt, haben angefangen sich in der neuen Nachbarschaft einzuleben, Kontakte geknüpft und Freunde gefunden. All das soll ihnen nun genommen werden! Betroffene sollen nun an Orte vertrieben werden, in denen sie Ablehnung und Feindschaft erlebt haben. Einige berichten von rassistischen Übergriffen in den Regionen, in denen sie ihren Asylantrag gestellt haben.
Was bedeutet vor diesem Hintergrund und diesen vielen ungewürdigten Bemühungen seitens der Betroffenen überhaupt noch das Wort „Integration“? Und wie weit planen sie eigentlich noch zu gehen, wenn es Ihnen nun kein Hindernis zu sein scheint, fragwürdige Regelungen einfach rückwirkend geltend zu lassen? Dies ist nicht nur widersprüchlich vor dem Hintergrund der geforderten Integration, sondern widerspricht auch gängiger Rechtspraxis.
Des Weiteren kritisieren wir, dass Sie durch eine Rechtsverordnung auf Grundlage des § 12a Absatz 9 AufenthG die Bewegungsfreiheit innerhalb von NRW ab kommendem Dezember einschränken wollen. Sie haben vor, dass Geflüchtete innerhalb von NRW einem bestimmten Wohnungsort zuzuweisen. Hierbei soll ein Verteilungsschlüssel für Gemeinden und Kommunen greifen. Wir lehnen diese Vorgehensweise ab!
Ein Wohnortzwang ist für uns nicht mit höherrangigem Recht vereinbar. Das Recht auf Freizügigkeit gilt für Flüchtlinge und subsidiär Geschützte nach Artikel 33 der EUQualifikationsrichtlinien. Der Europäische Gerichtshof entschied in einem Urteil vom 01.03.2016, dass eine Wohnortzuweisung aus fiskalischen Gründen weder mit EUQualifikationsrichtlinien und noch nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar ist. Der Wohnortzwang führt dazu, dass Betroffene drei Jahre an einem Ort bleiben müssen, den sie nicht frei gewählt haben. Zu diesen drei Jahren kann zudem noch die lange (Warte-)Zeit bis zur Asylantragsstellung und Asylentscheidung addiert werden.
Wir verstehen zwar, dass einige Kommunen im besonderen Maße finanziell durch die Wohnungsnahme Geflüchteter belastet werden, die Lösung dieses Problems kann aber nicht in einer Zwangsverordnung und Zwangszuweisung liegen. Hier müssen Alternativen gefunden werden, die den Menschen gerecht werden. Anstatt dass Sie Menschen innerhalb von NRW verteilen, sollten Sie unter den Kommunen die Geldmittel verteilen!
Wir fordern deshalb:
– Setzen Sie die Wohnsitzauflage nicht rückwirkend um! Alle Betroffenen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes nach NRW gezogen sind, sollen in NRW bleiben dürfen!
– Erkennen sie alle Dokumente von Betroffenen an, die beweisen, dass sie vor dem Inkrafttreten des Gesetzes nach NRW gezogen sind. Zurzeit wird in vielen Kommunen lediglich die Anmeldung beim Bürgerbüro angenommen. Viele der Betroffenen sind vor dem Stichtag in eine Kommune gezogen, haben aber lange auf einen Termin im Bürgerbüro warten müssen.
– Schränken sie die Bewegungsfreiheit innerhalb von NRW nicht ein! Alle Menschen sollen innerhalb von NRW entscheiden dürfen, wo sie leben wollen!